XIII einige Wählerversammlungen. Nun konnten uns unsere Gegner freilich nicht mehr übergehen oder gar totschweigen, sie mußten sich nun doch mit uns befassen, wobei sie in ihrer angeborenen Ver¬ logenheit vor keinem Mittel zurückscheuten, uns verächtlich zu machen. Das gerade in Innsbruck immer starken Widerhall findende Schlagwort von unserem Verrat“ an einem deutschen Volksteil, wurde mit Wollust immer wieder in den Kampf geworfen. Und trotzdem: 800 Innsbrucker Wähler gaben der NSDAP. ihre Stimmen. Daß wir dabei kein Gemeinderatsmandat erhielten, ist nur auf das raffiniert erdachte Wahlsystem zurückzufüh¬ ren, das nur jener Partei ein erstes Mandat zu¬ billigte, welche mindestens die Stimmenzahl für zwei Mandate erhalten hatte. Nach der Wahl zogen sich die Parteien von der Arbeit auf der Straße — wie sie dies nannten — zurück, doch wir blieben dort. Die SA. hatte sich inzwischen ein Lokal im Keller der Pradler Schule organisiert, wo sie regelmäßig exerzierte. Natür¬ lich war auch das den Marxisten ein Dorn im Auge und sie ließen es sich nicht nehmen, vor Beendigung des SA.-Appells vor der Schule auf uns zu warten. Daß es dabei mehrmals zu Uberfällen und schweren Schlägereien kam, machte uns nur noch härter und verbissener. Am 4. Dezember 1928 kam es zur ersten Sesselschlacht im Stadtsaal. Die ernsten Bibel¬ forscher hatten damals eine Versammlung ein¬ berufen, in der sie den Innsbruckern ihre jüdische Heilslehre schmackhaft machen wollten. Selbst¬ verständlich gingen wir hin. Während der wider¬ lichen Ergüsse des Redners über den „einzigen Gott Jehova“ kam es zu Zwischenrufen. Als die Ordner des — diesmal getarnten — republikanischen Schutzbundes unsere Leute angriffen, kam es zu einer wüsten Schlägerei, wobei einige Dutzend Sesseln kaputgeschlagen wurden. Ein Ordner der ernsten Bibelforscher warf von der Galerie Sessel auf unsere SA.-Männer. Ein SA.-Mann erlitt dabei eine schwere Verletzung der Schädeldecke. Erst der Polizei, die mit Gummiknüttel auf die Ver¬ sammlungsbesucher einschlug, gelang es, den Saal zu räumen, wobei allerdings auch die Bibel¬ forscherversammlung ihr unrühmliches Ende nahm. Das nachher eingeleitete Gerichtsverfahren wurde unvermutet — über Betreiben der Sozial¬ demokraten — abgebrochen, da sie fürchteten, als Hintermänner dieses jüdischen Schwindels erkannt zu werden. Zu Beginn des nächsten Jahres konnten wir un¬ sere Sprechabende bereits regelmäßig jeden Sams¬ tag im Studentenzimmer des Gasthofes „Breinöß!“ bei einer Besucherzahl von etwa fünfzig Personen, abhalten. Auch mit den öffentlichen Versammlun¬ gen gingen wir allmählich auf den Großen Stadt¬ saal über. Mit der Stärke unseres Auftretens wuchs natür¬ lich auch die Reaktion unserer Gegner. Ihr belieb¬ testes Schlagwort gegen uns war die alte Geschichte von der angefeindeten Außenpolitik des Führers. So entwickelte sich allmählich die beiderseitige Propaganda um dieses Thema. Um hier unsere Gegner endlich einmal zu einem offenen Kampf herauszufordern, setzten wir für den 10. Juni 1929 im Großen Stadtsaal eine öffentliche Versammlung an, bei welcher der bayerische Abgeordnete Dauser über die nationalsozialistische Außenpolitik spre¬ chen sollte. Die Ankündigung dieser Versammlung hat bei unseren Gegnern einen Sturm der Ent¬ rüstung entfacht. Sie bestürmten den Landeshaupt¬ mann und erreichten schließlich, daß unsere Ver¬ sammlung wegen der zu erwartenden Gefährdung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit wenige Stun¬ den vor Beginn verboten wurde. Dieses Ausweich¬ manöver gelang ihnen jedoch nicht, im Gegenteil, ihre Niederlage wurde um so größer. Wir hielten nämlich die Versammlung trotzdem ab, und zwar als §-2-Versammlung (nur für namentlich eingela¬ dene Gäste). In wenigen Stunden waren tausend Einladungen vorbereitet, welche vor dem Stadtsaal den herbeiströmenden Versammlungsbesuchern übergeben wurden. Diese mußten nur ihren Namen und Anschrift auf die Einladungen schreiben und die überraschten Gegner wußten in der Eile nicht, wie sie dem begegnen sollten. Da uns natürlich auch die Benützung des Stadtsaals verboten wurde, haben wir uns rechtzeitig die große Veranda beim „Bierwastl“ gesichert. Die Söldlinge des bürger¬ lichen Regimes kontrollierten zwar streng, daß nie¬ mand ohne vorgeschriebene Einladung in die Ver¬ sammlung kam, doch dies war gut so, denn wir waren allein nicht in der Lage, den riesigen An¬ sturm der Besucher zu bewältigen. Seit es sich herumgesprochen hatte, daß die Versammlung ver¬ boten war, wollte natürlich jeder hineingehen und wir konnten die vielen Menschen, die keinen Einlaß mehr fanden, nur mehr auf die demnächst erschei¬ nenden Flugblätter zu diesem Thema vertrösten. Der Erfolg dieser Versammlung war ein voller. Unsere nach wenigen Tagen herausgegebenen Flugblätter fanden reißenden Absatz. Das Eis war gebrochen. Die „Haltet-den-Dieb“-Politik unserer Gegner war endlich entkräftet, diese aber als De¬ magogen und Verleumder gebrandmarkt. Im August fuhren wir wieder zum Reichspartei¬ tag nach Nürnberg. Diesmal fuhren wir bereits mit drei Lastautos, und zwar etwa fünfzig Mann SA. und fünfzig Mann HJ. und Zivilparteigenossen. Wieder erlebten wir das erhebende Bild eines großen nationalsozialistischen Aufmarsches, an dem diesmal bereits über 70.000 Braunhemden teil¬ nahmen. Mit der Zunahme unserer Kampfkraft wuchs auch unsere Aktivität auf dem Lande. Wir unter¬ nahmen in diesem Jahr mit der SA. bereits mehrere Propagandafahrten ins Unterinntal. In Schwaz war bereits seit längerer Zeit eine sehr rührige Ortsgruppe der HJ Mit Begeisterung und Zähig¬ keit warben diese Jungen für ihre Jugendgruppe, doch sie arbeiteten nicht minder eifrig für die Errichtung einer Parteiortsgruppe. Um hiefür in Schwaz die Stimmung reif zu machen, setzten wir für den 22. September 1929 einen Kreistag nach Schwaz fest. (Tirol war damals ein Kreis des West¬ gaues, welcher aus Salzburg, Tirol und dem dama¬ ligen Lande Vorarlberg, bestand.) Mit fast hundert uniformierten SA.-Männern und Hitlerjungen aus Innsbruck, Kufstein und Schwaz marschierten wir damals in Schwaz auf und zeigten den erstaunten Schwazern, daß es nicht nur jenseits der Grenze, sondern auch in der Heimat bereits viele Nazi gab. Von da ab fuhren wir noch öfter nach Schwaz und erst nach einer blutigen Saalschlacht im Gasthaus „Krone“ am 2. Februar 1930 erfolgte der endgültige Einbruch in die Front unserer Gegner.