XII Gründe, die die Volksgenossen vom Besuch abhiel¬ ten: Für die sogenannten Bürgerlichen waren wir nicht vornehm genug, den Marxisten gegenüber galten wir als Arbeitermörder. Uberdies wurden wir je nach Bedarf entweder Kapitalistensöldlinge oder Nationalbolschewiken genannt. Mit wahrer Leidenschaft aber bezeichneten uns die Roten wie die Schwarzen als Verräter, da der Führer in außenpolitischen Fragen einen Weg vorzeichnete, der diesen Herren nicht paßte. Im August fuhr die damals siebzehn Mann starke SA. zum Reichsparteitag nach Nürnberg. Das war für unsere meistens arbeitslosen SA.-Männer ein schwieriges Problem. Mehrere marschierten zu Fuß nach München, wo sie durch Zufall in einer „Zirkus-Krone“-Versammlung vom Führer selbst die Mittel für die Weiterreise erhielten. In Nürn¬ berg sahen wir erstmals die versammelte Macht der Partei aus allen Gauen. Es war für uns ein über¬ wältigendes Bild, als die 15.000 Mann Braunhemden auf der Zeppelinwiese aufmarschierten. Wir mar¬ schierten an Adolf Hitler vorbei; er sprach zu uns, und wir fühlten die unbeschreibliche Kraft, die von ihm ausstrahlte. Mit neuer Begeisterung und neuem Glauben gingen wir wieder heim. Wir versuchten nun, auch außerhalb Innsbrucks Fuß zu fassen. Vor allem begannen wir in Hall mit kleineren Versammlungen. Im November 1927 wurde die Ortsgruppe Kufstein gegründet und da¬ mit begann nun langsam die Ausweitung der Be¬ wegung auf die Landkreise. Im Dezember wurde die Hitler-Jugend gegrün¬ det. In einem ganz kleinen Hinterstüberl der „Kal¬ terer Weinstube“ in der Straße der Sudetendeut¬ schen fanden nun Woche für Woche ihre Heim¬ abende statt. In diesem Raum fanden auch meist alle zwei Wochen die Führerbesprechungen statt, zu welchen der kleine Führerstab, der sich allmäh¬ lich bildeten Gauleitung mit dem Ortsgruppenstab zur Beratung und Planung der künftigen Tätigkeit traf. Auch die SA., die bis zum Herbstbeginn ihre Appelle in einem Nebenzimmer des „Bürgerlichen Bräuhauses“ abhielt, verlegte nun ihren Treffpunkt in die „Kalterer Weinstube“. In der Wirtsstube im ersten Stock hatten wir unseren Treffpunkt. All¬ abendlich trafen sich hier mehrere Parteigenossen, hauptsächlich SA.-Männer, beim Abendessen. Hier sah man ein Bild nationalsozialistischer Gemein¬ schaft. Im Sinne echtester Volksgemeinschaft saßen hier Deutsche aller sozialen Schichten, Studenten, Beamte Handwerker, Arbeiter, zum großen Teil Arbeitslose, zusammen und teilten ihre wenigen Groschen zum gemeinsamen Essen. Gerade aber die Studenten kamen aus allen deutschen Gauen und es gab sich damit auch ein Bild deutscher Einheit trotz verschiedenster Abstammungen. So kannten wir keine Probleme der Stammesunterschiede oder gar Fragen der Religionszugehörigkeit, es gab nur eines — eine nationalsozialistische Kampfgemein¬ schaft. Hier trafen wir uns, wenn irgendwelche Aktionen starten sollten. Besonders die „Klebekolonnen“ nah¬ men von hier ihren Ausgang. Mit Flugblättern, Kleistertopf und Pinsel ausgerüstet, zogen wir von hier in den späten Abendstunden nach einem be¬ stimmten Plan durch die Stadt und klebten unsere Flugblätter auf Pfeiler, Dachrinnen und Tafeln und besonders schön war’s zu Wahlzeiten, wenn wir entsprechend spät loszogen, um gleichzeitig die Arbeit der marxistischen Klebekolonnen zu liqui¬ dieren. Zu Beginn des Jahres 1928 hatten wir die schwerste Anfangszeit überwunden. Unsere Ver¬ sammlungen — die nun regelmäßig etwa alle Mo¬ nate einberufen wurden, fanden von nun an beim „Breinößl“ im ehemaligen „Roten Saal“ statt. Er hatten einen Fassungsraum von 100 bis 150 Per¬ sonen. Der Anfang war natürlich auch hier schwer. Auch bei weitester Verteilung der Stühle waren 80 bis 90 Menschen notwendig, um diesen Saal einigermaßen zu füllen. Da wurde gerechnet und beraten, wer in die Versammlung unbedingt kom¬ men müsse, damit wir diese erforderliche Mindest¬ zahl erreichen. Nach einigen Monaten war auch dieses Problem gelöst und der Saal wurde von Ver¬ sammlung zu Versammlung voller. Dabei mußte jeder Versammlungsbesucher Eintritt zahlen und wenn er die Versammlung verließ, durfte er noch eine Kampfspende geben. Kein Wunder, daß sich die Menschen nicht in Massen zu unseren Ver¬ anstaltungen drängten, denn wir konnten ihnen keine schönen Versprechungen machen, sondern nur Kampf und Opfer verlangen. Dafür aber waren die, die dann bei uns blieben, aufrichtige und treue Kampfgenossen, die nichts für sich wollten und nur dem Führer dienten. Im März 1928 fand in Kitzbühel das erste SA.- Schitreffen statt, zu welchem aus Innsbruck und Kufstein etwa dreißig SA.-Männer antraten. Es war dies unser erster Versuch, in Kitzbühel Fuß zu fassen, der allerdings erst nach mehrmaliger Wiederholung zum Ziele führte. Am 28. August gelang es uns, Dr. Goebbels, der zur kurzen Erho¬ lung in Garmisch-Partenkirchen weilte, für einen Besuch nach Innsbruck zu gewinnen. Im ehemali¬ gen sogenannten Studentenzimmer des „Breinößl“ (erster Stock, Straßenseite) sprach er im Kreise der nächsten Anhänger. Es waren in dem kleinen Raum neunzig Personen, die erstmals und tiefbeeindruckt seinen Worten lauschten. Langsam wagten wir uns nun — wenn wir beson¬ ders zugkräftige Redner hatten — in den Kleinen Stadtsaal. Im Sommer 1928 traten wir zum erstenmal zu einem Wahlkampf an. Es waren Gemeinderats¬ ergänzungswahlen für Innsbruck ausgeschrieben. Für die Ortsgruppe Innsbruck — die inzwischen auf sechzig Parteimitglieder angewachsen war war dieser Wahlkampf eine schwere Belastung, denn wir hatten nicht die Mittel, die unsere Gegner geradezu verschwenderisch in den Kampf werfen konnten. Hier mußte der Kampfgeist, fanatischer Glaube, Zähigkeit und Opferbereitschaft das er¬ setzen, was die anderen mit der Masse ihrer An¬ hänger und vor allem mit dem Geldbeutel bewerk¬ stelligten. In wochenlanger zäher Kleinarbeit wurde die Vorarbeit für den eigentlichen Wahl¬ kampf geleistet. Dann wurden zehntausende Flug¬ blätter, Werbeschriften und Stimmzettel verpackt und von wenigen einsatzbereiten Parteigenossen in unermüdlicher Arbeit von Haus zu Haus, von Stock zu Stock getragen und so allmählich ganz Innsbruck in mehreren Wellen mit Propaganda¬ material versorgt. Dann folgten Propaganda¬ märsche der SA. und nachts gingen die Klebe¬ kolonnen. Den Höhepunkt bildeten schließlich