Innsbrucker*innen

Adressbücher aus dem 19. und 20. Jahrhundert

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I
Chronik und Statistik
1
Das Gesicht der Stadt
Von Dr. Karl Schadelbauer
Wie ein altersdurchfurchtes Menschenantlitz die Spuren seines Erlebens zur Schau trägt, so zeigt auch
das Gesicht einer Stadt die Spuren aller jener Zeitabschnitte, die seine Gestaltung besonders beeinflußt
haben.
Am Südende der Stadt Innsbruck liegt das weitläufige Prämonstratenserstift Wilten und erin¬
nert sowohl an Innsbrucks Urzeit, an das römische Veldidenum, wie auch an die eigentliche Gründungszeit
der Stadt, die auf Stiftsgrund entstand und deren Bewohner noch mehrere Jahrhunderte hindurch der Pfarre
Wilten zugehörten.
Das Schlolz Amras am Ostende der Stadt weist auf seine ursprünglichen Besitzer, die Grafen von An¬
dechs hin, welche im 12. Jahrhundert außerdem am linken Innufer einen kleinen Markt besalzen, zu dessen
Erweiterung sie im Jahre 1180 den Grund der heutigen Altstadt vom Stifte Wilten eintauschten.
Durch diese Grunderweiterung kam auch die Innbrücke, das machtpolitische Zentrum der ganzen Ge¬
gend, in die Hand der Andechser. Der Innübergang, zuerst eine Fähre, seit etwa 1150 eine Brücke, war die
Lebensader Innsbrucks. Die Innbrücke verband und sperrte den altberühmten Handelsweg von Deutschland
nach Italien; wohl ein halbes Hundert deutscher Kaiserzüge überquerte sie.
Fürstenzüge, Kauffahrer und Pilger benötigten Herbergen, Lebensmittel, Vorspannpferde und Futter.
Gasthäuser und Geschäfte wurden errichtet, die Waren im großen Ballhaus umgeladen. Am Stadtplatz und
unter den Lauben spielte sich der Geschäftsverkehr ab. Müde Pilgrime fanden im Hl.-Geist-Stadtspital vor
dem Neustadt-Tore Aufnahme und Verpflegung.
Das vergehende Mittelalter schenkt der Stadt Maximilian, den Letzten Ritter, der ihr als machtbewul3¬
ter Kaiser seinen unvergänglichen Stempel aufdrückt. Der phantasiereiche Schaffensdrang des Kaisers be¬
schert Innsbruck seine wertvollsten Denkmäler, das Goldene Dachl und das Kaisergrab. Auch Maximilians
Nachfahren verschönern noch ihre Residenzstadt am Inn: Ferdinand I. erbaut die Hofkirche, Ferdinand II.
von Tirol erhebt das verfallende Schloß Amras zu höchster Berühmtheit, Maximilian der Deutschmeister
errichtet sich in der St.-Jakobs-Pfarrkirche ein prunkvolles Grabmal.
Der Reichtum des Landes geht durch das Versiegen der Bergwerkserträgnisse zurück, die Prachtentfal¬
tung des Innsbrucker Hofes erlischt, da schenkt Kaiser Leopold I. im Jahre 1669 der Stadt die langersehnte
Universität. Ein neuer Zug gräbt sich in das Antlitz der Stadt. Studenten aller Herren Länder kommen nach
Innsbruck, um sich den Doktorhut zu holen; die Bürger haben öfters ihren Übermut zu spüren.
Der große Korse überzieht alle Staaten Europas mit Krieg. Auch Innsbruck, in dessen Geschichte mili¬
tärische Ereignisse vorher beinahe fehlten, wird zum weltberühmten Schlachtenort. Dem unbesiegten Feld¬
herrn wagt ein einfacher Bauernwirt aus Passeier Widerstand zu leisten und siegt. Der Berg Isel bleibt ewiger
Zeuge dieser Heldentage eines Bergbauernvolkes. Die Stadt steht ein Jahrzehnt unter der Herrschaft
Bayerns.
Der Aufschwung der Technik von der Mitte des 19. Jahrhunderts läßt auch Innsbruck nicht unberührt.
Der Bahnbau macht die Stadt zu einem Verkehrszentrum von Weltruf. Der Fremdenverkehr nimmt un¬
geahnt zu. Nach allen Weltrichtungen wird die Stadt erweitert, die Randorte werden eingemeindet: Wilten,
Pradl, Hötting, Mühlau, Amras, Arzl, Vill und Igls.
Noch einmal sollte die Kriegsfurie über die Stadt hereinfallen. Zeiten der Entbehrungen, geistiger Be¬
drängnisse und kultureller Gefährdung zogen in einer kurzen Reihe von Jahren tiefe Furchen in das Antlitz
der Stadt. Mit unverwüstlichem Lebensmut begann der Wiederaufbau. Trotz vielfältiger Beschränkung
schreitet die Heilung schmerzhafter Wunden voran, gewinnt das Gesicht wieder seine alte Vertrautheit und
Würde.
Innsbruck, der kleine Markt der Andechser, steht nach einer fast 800jährigen wechselvollen Geschichte
nunmehr am Wendepunkt zur Großstadt.